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Channel: katia kelm – Seite 4 – Katias Blog
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3 tage rantzauer see

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mein sohn anton und ich bewerben uns für einen kunstpreis. anton ist 8 jahre alt. ich hab ihm bei der zusammenstellung seiner mappe geholfen weil er das noch nie gemacht hat, ich schon öfter.

bei der preisvergabe sitzen wir mit allen anderen bewerbern an einer langen tafel aus zusammengeschobenen braunen schultischen. ein ältlicher tüp mit lehrerbart verteilt die ergebnisse.
jeder bekommt einen packen mehrerer, an einer ecke zusammengehefteter dina4 zettel aus recylingpapier: auf den vorderen seiten sind verkleinerte abbildungen der eingereichten arbeiten, ganz hinten eine detaillierte bewertungstabelle mit dem ergebnis.

anton sitzt still da und blickt auf seine zettel. er hat 128 punkte. 2 mehr als möglich. unten drunter steht mit rotstift:
„1 woche sri lanka, VP“
ich haue ihm kollegial auf den rücken, er kippt kurz nach vorne und lächelt bescheiden.

ich blättere durch meine seiten. die arbeiten kommen mir wie immer altbacken und chancenlos vor. sie sind schon aus der mode bevor ich sie gemacht hab.

ich bekomme 82 von 126 punkten, einen hervorragenden vierten platz! ich bekomme trotzdem einen preis: 3 tage rantzauer see, anfahrt, unterbringung und verpflegung muss man selbst bezahlen.
aufgewacht.

Prostituierte 1, 2014, öl auf leinwand, 50 x 70 cm

wiederholungen

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„es wiederholt sich alles…“ sage ich zu meinem mann am abendbrottisch.
„genau. wir werden ohne zähne geboren und sterben ohne. ausserdem haarverlust und auf allen vieren laufen.“

was ich meinte war natürlich meine arbeit.
normalerweise finde ich beim kunstmachen wiederholungen ja immer eher doof so wie ich es nie kapiert habe, wieso wiederholungen unter künstlerInnen so beliebt sind, aber das ist eine andere geschichte (die ich auch schon hundert mal erzählt hab).
diese art von wiederholungen meine ich aber nicht. ich meine ich die unbeabsichtigten, die grossen kreise. und dann das deja-vue-hafte „huch, das kenn ich!“ – für mich ist sowas meistens ein gutes zeichen.

das letzte mal als mir so eine richtig große schleife passierte war zu beginn meines studiums an der HFBK. damals war es dort ja mode, nicht zu malen. es dauerte ein jahr, dann hatte ich auch keine lust mehr und machte mich auf die suche nach einem neuen material. was ich entdeckte war seife.
ich hatte aber schonmal mit seife zutun und das war im kindergarten. im kindergarten sollten wir jeder ein küchenmesser und ein paar stücke haushaltsseife mitbringen und daraus schnitzten wir fische und schildkröten. genau dasselbe machte ich 20 jahre später an der kunsthochschule (nur schnitzte ich da penisse).

jetzt ist wieder so eine zeitschleife passiert.
vor 30 jahren bauten meine schwester und ich zuhause städte. hauptsächlich aus bauklötzen und lego, aber auch aus sofakissen, decken, kartons, papier, fimo, knete, getrockneten hülsenfrüchten und nudeln. wir bauten schulen, krankenhäuser, läden, eine fabrik in der spiegeleier am fliessband hergestellt wurden, strassen, gärten und bahnhöfe. die einwohner der städte waren schlümpfe, playmo- und legofiguren, barbies, der cast von biene maja, pinocchio und sesamstraße.

mit der zeit verschob sich der fokus dabei vom rollenspiel hin zum aufbau. dieser dauerte oft mehrere tage und wenn alles irgendwann fertig war und die figuren einziehen konnten, hatte ich keine lust mehr.
mit 14 merkte ich, dass meine 3 jahre jüngere schwester in einer ganz anderen welt zu leben schien.
während sie fröhlich weiter spielte, sass ich frustriert in meinem zimmer. nicht nur, dass ich das rollenspiel scheinbar verlernt hatte, offenbar wurde es gesellschaftlich auch garnicht anerkannt, als 14-jähriges mädchen mit schlümpfen zu spielen!
im zimmer meiner schwester befiel mich jetzt blanker neid: die wohnungen ihrer figuren sahen viel virtuoser aus als meine! bei ihr war alles so schön chaotisch und improvisiert während bei mir der perfektionismus ausgebrochen war! kein wunder dass ich keine lust mehr auf rollenspiel hatte.
ich überredete sie sogar zu tauschen, mein steriles luxus-loft gegen ihre verschnörkelte spinner-laube, doch auch das brachte nichts.

was mir allerdings immer noch spass brachte war das malen. in der schule hatten wir damals das thema drucken: radierungen und linolschnitt. auf motivsuche nahm ich meine pocketkamera und fotografierte im zimmer meiner schwester ihr aktuelles bauklotzwerk und dessen bewohner.
die fotos waren alle unscharf aber es reichte aus, und ich zeichnete sie ab auf die druckplatten.
die fertigen drucke gefielen mir nicht besonders aber das machte nichts, es war gut, sie gemacht zu haben.

30 jahre später: wieder motivsuche. in letzter zeit hab ich mich wieder öfter selbst gemalt. wie schon früher bei den plastiken hat das hauptsächlich den grund, dass ich zufällig gerade da war. ausserdem hab ich selber keine grosse hemmschwelle was peinlichkeit angeht und nöl‘ auch nicht rum, wenn ich auf dem bild hinterher scheisse ausseh.
leider hatte ich in letzter zeit aber immer öfter bildideen, die über eine in der wanne sitzende person hinaus gehen. dafür bräuchte ich mindestens ein fotostudio, was ich nicht habe. räume kann ich malerisch verändern aber was ich nicht so gut fingieren kann, ist licht. ich weiss zwar auswendig, wie einzelne körperteile aussehen, aber nicht, wie es aussieht, wenn bestimmtes licht darauf fällt.

nun las ich kürzlich über michelangelo, dass der, wahrscheinlich aus ähnlichen gründen, wachsmodelle formte und sie mit kerzenlicht beleuchtete. das trifft sich ja gut, dachte ich, zufällig hab ich noch etwa 200 kilo knete…
und weil die knetmodelle natürlich auch einen raum brauchen baute mir mein mann ein… puppenhaus.

gestern hab ich nun das erste bild angefangen. es haut mich noch nicht um, das das wird noch. an der vorlage liegts jedenfalls nicht.

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gross machen

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ich habs glaubich schon öfter erwähnt. in den frühen neunziger jahren war an der hamburger hochschule für bildende künste der beliebteste ratschlag aller profs, egal mit wem man sprach: „machs mal in gross“.
„mach mal mehr davon“ war der zweitbeliebteste, und mehr zu machen ist ja auch eine vergrösserung.
wenn man dann noch die tatsache hinzuzieht, dass etwa 90% dieser ratgeber männer waren, gibt das vielleicht zu denken.

diese eher schlichten ratschläge unserer damaligen profs sind bis heute running gag unter den ehemaligen kommilitonen. ich schwankte damals zwischen viel verachtung und wenig respekt aber irgendwann pendelte es sich doch ein und ich probierte es doch mal aus mit dem „gross“ oder „mehr“.

der kritikpunkt an dieser expansions-methode ist ja, dass es sich hierbei ausschliesslich um einen effekt handelt. man nimmt irgendein unbedeutendes bild und bläst es einfach nur riesengross auf – und alle so: toll!
stattdessen könnte man ja vielleicht auch mal sagen: „mach mal in klein“ um dann zu gucken was übrig bleibt. falls nichts übrig bleibt ist es vielleicht ja einfach schrott?

leider funktioniert so aber dieser markt. die kunstmessen sind voll mit aufgeblähtem scheiss. insofern bezogen sich die ratschläge der profs, mal „in gross zu machen“, also klar auf die bedürfnisse des marktes. was ja ok ist, nur: mehr wurde an der hochschule damals über markt-mechanismen nicht geredet.
und wenn in den arbeitsbesprechungen etwas, die kommerzialisierung betreffendes reinfloss, dann ohne dass es als derartiges gekennzeichnet wurde. es wurde also nicht gesagt „katia, mach grosse sachen, weil die galeristen keine kleinen sachen wollen, grosse bringen mehr“ sondern es wurde gesagt: „wenn du die arbeit verbessern willst machs grösser“.
groß war für diese männer gleichbedeutend mit gut.

viele profs übertrugen diese phallische denkweise aber auch noch auf andere aspekte ihrer tätigkeit, zum beispiel indem sie nur männliche studenten für preise und ausstellungen vorschlugen. wochenlang wurde in meiner klasse über die ausstellungsprojekte der männlichen kommilitonen geredet und wir frauen sassen da und hofften, dass wir auch irgendwann mal dran kämen.

andere profs benutzten in arbeitsbesprechungen ua. den begriff „frauenkunst“. anders als dieser lexikoneintrag den begriff definiert, wurde er zu meiner studienzeit viel schwammiger und klar negativ gewertet. frauenkunst galt als etwas, was sich den eher privateren, „weicheren“ und daher vorgeblich unwichtigeren themen widmete mit organischen, also auch eher weichen materialien wie latex, wachs, ton, stoff, haar, knochen oder ähnlichem.
zu den künstlerinen, die derart kategorisiert wurden, zählten bezeichnenderweise aber wieder ALLE damals angesagten frauen: kiki smith, louise bourgeois, eva hesse, cindy sherman, marina abramovic…
nagut, hanne daboven vielleicht gerade nicht.

ausgerechnet marina abramovic war aber zu dieser zeit eine der wenigen professorinnen an der hochschule. und sie war als künstlerin international viel erfolgreicher als ihre männlichen kollegen. ebenso kiki smith, die eine kurze gastprofessur hatte.
und ich war dabei als besagter „frauenkunst“-professor einmal komplett ausflippte und der smith über die ganze etage hinterher brüllte: „you are NOT an artist, you are… a moralist!“

alles in allem war es an der hochschule damals nicht einfach, frau zu sein. wir fanden frauen wie kiki smith grossartig, wollten aber auf keinen fall gefahr laufen, auch „frauenkunst“ zu produzieren.

es gab aber auch profs, die uns mit ihren tipps wirklich versuchten auf etwas vorzubereiten. die ihren studentinnen mit ihrem einstimmigen „mach mal in gross“ quasi eine art penissimulation beibrachten. es gab regelrecht veranstaltungen wo der prof mit seiner klasse saufen, feiern, und großkotzig rumlabern trainierte. (hinterher nahm er eine studentin mit ins bett.)
und es gab auch immer wieder frauen, die später auf diese weise (saufen, feiern, grosskotzig sein) noch ganz erfolgreich wurden.

mir fiel es auch nicht schwer. ich konnte auch so einige kollegen unter die tische saufen und ich war auch ganz gut in grossen gesten oder zumindest in grell und in laut. ich musste mir das garnicht vornehmen, im herzen bin ich proll. und mein selbstbewusstsein, zumindest im bezug auf meine arbeit, war auch immer ganz stabil.

nach abschluss des studiums, auf dem freien markt, funktionierte es aber plötzlich nicht mehr so gut. langsam fand ich es anstrengend, immer unter beschluss zu sein, immer bereit zu sein zurück zu schiessen. permanente gegenseitige provokation und gegenseitiges belügen.

einmal machte mich sogar ein männlicher kollege darauf aufmerksam, dass ich als frau zu unbescheiden sei. ich solle mich mal lieber wieder etwas kleiner machen.

im frühjahr 2001 nahm ich an der ausstellung „ziviler ungehorsam“ teil, eine andere frau und ich als einzige neben 41 männern. in der frankfurter rundschau schrieb dazu der autor frank keil:

Weniger geeignet für diese Art des unerschrockenen Abarbeitens am Elend der Welt, ist offensichtlich die Arbeit von Künstlerinnen. Nur zwei haben es überhaupt in die Ausstellung geschafft: Von Martha Rosler sind ihre Collagen zu Zeiten des Vietnam-Kriegs zu sehen, Kampfszenen gemixt mit Einrichtungstipps für das amerikanische housewife. Die junge Hamburger Künstlerin Katia Kelm hat dazu nicht unpassend einen Bettvorleger aus Eisbär und Hausfrau geknetet; nebenan schweben fünf Geier am Laufband über einem wogenden, goldgelben Kornfeld; jedes Büschel, jede Feder echte Handarbeit. Viel, viel Mühe steckt da drinne; und hübsch anzusehen ist es auch.

auf der einen seite also die männlichen kollegen mit ihrem „zivilen ungehorsam“ – auf der andere eine frau, die sich „viel, viel mühe“ gibt.
ich frage mich aber auch, ob begriffe wie „handarbeit“, „mühe“ und „hübsch anzusehen“, auch in den beschreibungstexten von arbeiten von männern stehen.

heute habe ich die großen gesten, die ich in den ersten jahren nach der hochschule noch praktiziert hatte, weitgehend abgelegt. sie sind mir inzwischen eher peinlich.
ich hatte aber ja auch keine ahnung und musste mir das, was wir an der hochschule nicht gelernt hatten (also sogut wie alles) erstmal selbst beibringen.

was die grossen gesten betrifft hab ich inzwischen sowas wie verhältnismässigkeit gelernt. ich bau schon lange keine skulpturen mehr, die nicht durch die tür gehen oder durchs treppenhaus. ich realisier keine projekte mehr, die die mietzahlung für meine wohnung und das atelier gefährden und die grösse meiner bilder orientiert sich an der grösse des ateliers.
das mag uncool klingen, spiessig, „mädchenhaft“, aber mir ist das überleben inzwischen wichtiger als „auf gross“ zu machen.

nur mühe geb ich mir immer noch.

wo ich mitmach

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DING UND WESEN – INTERAKTIONEN AN DER TIERMASCHINE

Installation, Malerei, Objekt, Video, Zeichnung
Kuratiert von Katja Windau

Saskia Bannasch | Judith Egger | Katia Kelm | Franca Laufer |
Ulrike Paul | Ina Sangenstedt | Marie Lynn Speckert | Katja Windau

Eröffnung am 19. Mai 2017 um 19 Uhr
Die Ausstellung läuft bis 28.05.

Galerie Bridget Stern
Künstlerhaus FAKTOR
Max-Brauer-Allee 229
22769 Hamburg
www.bridget-stern.com

Beisetzungsrede für Claus Böhmler

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von Peter Lynen
am 17.03 2017, Hamburg-Ohlsdorf, Kapelle 2

20 Jahre nach Martin Kippenberger, 19 Jahre nach Dieter Roth und 11 Jahre nach Tomas Schmit ist der grosse WORT-BILD-Künstler Claus Böhmler gestorben.
Da Claus mit ähnlicher Hingabe, wie er seine eigene Kunst betrieb, mit seinen Studenten zusammenarbeitete, bat mich Elke, hier ein paar Worte zu sagen.
Für diejenigen, die mich nicht kennen: ich heisse Peter Lynen und war von 1992 bis 2002 Student bei Claus Böhmler.
Es fällt mir schwer für einen so frohgesinnten Menschen eine Trauerrede zu halten.

WORT-BILD-Künstler – das hätte er wahrscheinlich so nicht unterschrieben, da wir beim Zählen an einem stillen Nachmittag doch auf die 70 (in Worten siebzig) Sinne, die uns als Menschen zur Verfügung stehen, gekommen sind.
In Anbetracht dessen wäre ihm die Beschränkung auf einen eh nicht sonderlich geliebten Dualismus zu wenig gewesen.

Als ich im Jahr 92 das erste mal die Klasse von Claus Böhmler betrat, erblickte ich einen laborartigen Raum voller Kabel, Oszillographen und Lötstationen – überall standen Gefäße mit komischen Flüssigkeiten. Zwischen den halbverdauten Fernsehern lagen hier und da einzelne Elektrobauteile rum, hinten an der Wand stapelten sich etliche Staubsauger aus verschiedenen Generationen. Ein Geruch von Schwefel lag in der Luft.
Man hatte das dumpfe Gefühl, hier wolle jemand das Fernsehen mit einem Staubsauger kreuzen.
Das Ganze getreu nach dem Paik’schen Motto:
WHEN TOO PERFECT LIEBER GOTT BÖSE.

Inmitten dieses kreativen Chaos’ stand Claus Böhmler, vollbärtig mit langem zum Dutt gebundenem Haar, irgendwie zwischen Sufi Derwisch und othodoxem Metropoliten.
Er stand an einem über und über bezeichneten Tisch und erklärte die Unterschiede in den Soziolekten der Blaumeise anhand von fachkundig selbstproduzierten Vogelgezwitscher.
Während die anderen an ihren obskuren Maschinen bastelten, unterhielt er sich mit sich selbst in verschiedenen Meisendialekten, bei denen er manche auch nicht so gut verstand.

In den Pausen rauchte er seltsame russische Zigaretten, die sich erst beim zweiten Blick als die legendäre Doppelfilter Zigarette herausstellten. Diese hat viele Vorteile 1. gesünder – 2. sparsamer.
Im höheren Alter wurde dann daraus die dreifach Filterzigarette: 1. noch gesünder – 2. noch sparsamer.

Der doch recht ungestüme Umgang in der Klasse mit der Prima Materia hatte auch einige Folgen:
Erst kam es durch eine Schwefelverpuffung zu einem Brand in der Gipswerkstatt, was Claus mit den Worten in Bezug auf die völlig verqualmte benachbarte Leichtbauflieger-Klasse von Günther Rochelt kommentierte mit: DA RÖCHELT DER ROCHELT.
Dann wurde die Klasse für eine Zeit lang aus versicherungstechnischen Gründen ganz geschlossen.
Also wurde der Unterricht ins nahe gelegene türkische Restaurant Baris verlegt, wo es am Nachmittag einen heissen süssen Tee und am Abend ein schönes kühles Bier gab.

Im Unterschied zu anderen Arbeitsbesprechungen, wo man seine fertigen Arbeiten zeigte, um sie einzuordnen oder ihr Potenzial zu erkennen, ging es bei Claus immer um das direkte Produzieren, um das JETZT. In Anlehnung an die stets geschätzte Improvisation von Jazzmusikern glichen seine Arbeitsbesprechungen eher Jamsessions.

Zu diesem JETZT hat er auch viele lyrisch, klug, fröhliche Bildtitel gemacht, wie z.B. ATMEN JETZT! oder INSTANT ABER SOFORT! oder auch EN VOGUE IST WIEDER IN!

Das Material der Jamsessions bestand eigentlich aus so gut wie allem: aus mitgebrachten Werken, Tonbandaufnahmen, Hintergrundlektüren, existierenden und neu erfundenen Musikinstrumenten, Fundstücken aller Art, Videofilmen und fremden Kunstproduktionen und immer wieder Fellini, Walt Disney und sein alter Herr Joseph Beuys.
Aufgezeichnet wurde mit Foto, Video und Diktiergerät, aber vor allem mit den sogenannten Gesprächszeichnungen.

Er nannte zeichnen DAS TÄTIGE DENKEN. Die Zeichnungen hatten trotz ihres analytischen Anspruchs und der Geschwindigkeit, mit denen sie hergestellt wurden, immer etwas Liebevolles, Knuffiges.
Die Welt, die sie zeigen, ist eine fröhlich beschwingte – sofort fotokopiert als sprechende Zeichnung – DU MIT NACHHAUSE NEHMEN.

Wenn ich montags um 16.30 Uhr die Tür von K43 öffnete, war stets ungewiss, welche Szenerie sich dahinter verbarg, da alles aus der spontanen Interaktion entstand.
Allen voran Claus Böhmler, der in Hochform mit seinen Haken, Neuschöpfungen und Wortverdrehungen zum Lokführer einer Theorieachterbahn mutierte.
In beiden Händen mit Nagelschachteln als Samba Rasseln bewaffnet beschleunigte er den Beat der Worte und Gedanken, mit denen wir durch die Unwegsamkeiten der Populärkultur und Geistesgeschichte rasten.
Lechts und Rinks mäanderten die Assoziationsketten durch den Raum und gaben uns die tiefe Erkenntnis, dass alles mit allem zusammenhängt. Die Frage ist nur wie.

Eines von Claus Böhmlers vielen unerwarteten Talenten war die Schauspielkunst, allen voran die Parodie: Einmal parodierte er einen hochverehrten Professorenkollegen.
Dazu nahm Claus seine Brille von der Nase und hielt sie solange über eine rußende Kerze, bis sie ganz schwarz war. Dann zog er sie wieder an, schaute mit schwarzer Brille in die Runde und sagte:
STANLEY BROUWN.
Dazu muss man wissen, daß Stanley stets eine Sonnenbrille trug, auch im Winter, auch in der Nacht.

Den Rest des Nachmittags war er Stanley Brouwn – was zu einigen Sichtproblemen führte, insbesondere, da sich einige jüngere Studenten für die Klasse vorstellen wollten.
Um sich vorzustellen, mussten sie nun ihre Arbeiten solange mit Worten beschreiben, bis sich der „blinde“ Claus via Gesprächszeichnung ein Bild davon gemacht hatte.
Sie konnten auf den Zeichnungen sehen, welches übersetzte Bild aus ihren Erzählungen entstand.
Der geblendete Kunstprofessor war, glaube ich, ein bleibendes Erlebnis für die Beiden.

So hatten Claus’ auf den ersten Blick lustige Aktionen immer auch einen sehr tiefen Kern, was er in dem KREUZ WORT BILD LUST–TIGER VERS–SAGER bzw. LUSTIGER VERSAGER mal verdichtete; oder
KOMMT EIN ZYKLOP ZUM AUGENARZT.

An animation a day keeps the doctor away

Eine meiner Lieblings-live-Wiederbelebungen war:
eine junge Studentin hatte kleine, ganz zarte weiße FIMO-Skulpturen gemacht. Sie war ganz unzufrieden und wollte sie zerstören und wegschmeissen.
Claus sagte: nein warte, vielleicht können wir noch was Brauchbares daraus machen. Sie sagte: also gut….
Nach kurzem Zögern schlug er mit der Faust die Skulpturen platt und knetete sie zu einem länglichen Rechteck. Alle waren ob der Vehemenz und der Geschwindigkeit völlig überrascht und sahen ihn mit offenem Mund an.
Er nahm das weisse Rechteck und steckte es sich in seinen damals recht zahnlosen Mund.
Mit seinem neuen FIMO-Gebiss lächelte er und sagte: jetzt machen wir ein Foto für deine Eltern zu Weihnachten.
Diese Geschichte erzähle ich eigentlich immer bei der Frage, was kann ein Kunstprofessor seinen Schülern beibringen.

Gegen Mitte/Ende der 90er Jahre veränderte sich Claus’ Themen Schwerpunkt – weg vom Technischen hin zum Religiösen. Er beschäftigte sich viel mit den schon erwähnten Sufis.
Im Studium der Weltreligionen wurde die ostasiatische Philosophie der vollkommenen Gegenwart wichtiger.
Zitat: IM AUGENBLICK ERWACHT DAS SELBST was ja auch seinen Vorstellungen vom Spontanen und dem JETZT entsprach. In der Klasse waren jetzt viele Südkoreaner und Japaner.

Einer von ihnen, Dongjo, erklärte uns, wo der Staub im Raum oder wo der Fisch im Wasser ist:
nämlich erstens da, wo er liegen bleiben kann und zweitens da, wo es was zu fressen gibt.
Danach lud er Claus und mich zum Essen ein und zeigte uns, wie JETZIG ein JETZT sein kann.

Wir gingen also zur Alster. Dort packte Dongjo aus seiner Aktentasche die praktische Klappangel aus und hielt sie ins Wasser. Nach etwa einer Viertelstunde biss der erste Fisch an. Dongjo zog ihn raus und holte aus seiner Tasche eine Tupperware mit roter scharfer Soße und ein sehr langes noch schärferes Messer heraus.
Er schnitt dem noch lebenden Fisch ganz feine rosafarbene fast durchsichtige Scheibchen heraus rollte sie gekonnt zusammen und gab sie uns in die Hand, damit wir sie in die Soße tunkten und aßen. Damit wir etwas Vertrauen bekamen, machte er es uns vor.
Das Erstaunliche war, daß der Fisch weder zappelte noch blutete, er lag wie betäubt atmend im Gras und wartete geduldig, bis Dongjo ihm die nächste Scheibe herausschnitt.

Diese Gleichzeitigkeit von Leben und Tod, von Geselligkeit und Schicksal; der noch lebenswarme Fisch in der Mundhöhle machte aus diesem Augenblick einen magischen Moment an der doch so vertrauten Alster.

Einige Fische später trennten wir uns und gingen hinaus in die Nacht. Am nächsten Tag

Da dies eine Rede für Claus Böhmler ist hat sie kein Ende.
Danke.

am ZOB

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felix und ich sitzen träge am hamburger ZOB auf einer bank. die sonne knallt, wir sind viel zu früh und verpicknicken schonmal unseren reiseproviant.
alle paar minuten kommen flaschensammler vorbei und durchwühlen die mülltonne direkt neben mir. erst erschrecke ich mich immer aber nach dem zweiten oder dritten sammler hab ich mich daran gewöhnt.

vor uns am strassenrand schiebt sich noch jemand ins bild, der mit müll zutun hat: ein mann in grauer arbeitskleidung, wahrscheinlich so eine art hausmeister vom ZOB-betrieb, mit einem wagen mit besen, schaufeln und mülltüten. müsliriegel kauend beobachten wir ihn bei der arbeit.

während der hausmeister jetzt mit einer zange müll vom kantstein aufsammelt und in eine tüte am wagen wirft kommt von links wieder ein flaschensammler. diesmal ein auffallend zerlumpt aussehender, sehr junger, der trotz der hitze eine dicke jacke trägt. zielstrebig steuert er auf die mülltonne neben unserer bank zu und fängt an sie zu durchwühlen.

jetzt setzt sich auch der hausmeister in bewegung und steuert in unsere richtung, auf den jungen mann zu. als er neben ihm steht streckt er wortlos seine hand aus und gibt ihm eine flasche.
der junge mann nimmt die flasche, ebenfalls wortlos, und zieht weiter.


linktipp

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und nun zu was ganz anderem.

einige wissen es ja vielleicht schon, weil ich es auf anderen kanälen bereits dezent angedeutet hatte: unser sommerurlaub ist dieses jahr etwas unschön verlaufen.

gleich zu beginn wurden wir um 400 euro erleichtert, was unser ohnehin schon knapp kalkuliertes reisebudget (1000€) um fast die hälfte kürzte.
hinzu kam, dass wir uns quasi auf einer art tickender bombe durch die strassen bewegten und jedes hochfliegende schottersteinchen mir panikattaken bescherte.

felix, mein mann, hat auf seiner webseite mal aufgeschrieben, was passiert ist und wieso wir nie wieder bei billiger-mietwagen.de buchen.

schon wieder pleinair

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wie ich ja hier und da schonmal andeutete, bin ich pleinair-malerei-fan.

das bin ich etwa seitdem ich nach berlin zog und im zuge dieser veränderung beschloss, nur noch zu malen.
weil ich nach all den jahren kneterei dachte, dass ich etwas nachzuholen hätte, las ich bücher über maltechnik und darin stand sinngemäss sowas wie:
wer wissen will wie bäume wirklich aussehen muss nach draussen gehen – und da malen.

draussen zu malen hat in maltechnik-ratgebern offenbar einen ähnlichen stellenwert wie aktzeichnen. mir war das bis vor kurzem garnicht klar. ich hab sogar noch an der hochschule, als seifeschnitzerin und knetkünstlerin, akte gezeichnet, aufs draussen malen bin ich aber nie gekommen.
wahrscheinlich weil pleinair in der zeitgenössischen kunstszene eher als sone art alte-leute-sport gilt. wer in sein will malt dreiecke und wer nicht in sein will kauft sich ne feldstaffelei und malt wolken und bäume.

ich hab jedenfalls jetzt schon ein paarmal wolken und bäume gemalt. zuletzt sogar mitten in berlin, in den rehbergen.
anfangs gruselte es mich etwas bei der vorstellung, dass mir dort womöglich spaziergänger über die schulter schauen, tatsächlich war es mir dann aber komplett egal.

nicht nur, dass ich beim malen nicht mal mehr mitbekam, dass ich gerade mitten in einer waldameisen-straße stand – man malt auch ganz anders. man muss sich beeilen, denn das licht und die schatten und die farben ändern sich so rasend schnell, dass viele bilder nur als grobe skizzen enden.
da ist man froh, wenn die spaziergänger nur kucken wollen und einem nicht gleich ihre ganze lebensgeschichte erzählen.

was ich und die anderen künstlerInnen, mit denen ich zusammen losziehe, beim pleinairmalen noch so erleben, hab ich übrigens hier angefangen aufzuschreiben.

und hier jetzt auch die ersten vier etwas größeren arbeiten meiner beiden letzten pleinair-sessions:

Lange Nacht der Beusselstraße 47

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sie findet tagsüber statt.

und zwar bei mir im atelier. es gibt kaffee und kuchen und dazu hänge ich bilder auf, und falls du also wegen der artweek sowieso in berlin bist, würde es mich freuen wenn du vorbei kommst und mir gesellschaft leistest!

die öffnungszeiten sind:

SAMSTAG, den 16.9. von 14 bis 19 uhr
SONNTAG, den 17.9. von 14 bis 18 uhr

die adresse ist:

beusselstraße 47
vorderhaus, 3. stock.
10553 Berlin

2 minuten zufuss vom S-bahnhof beusselstraße.

rezension meines atelierwochenendes

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heute mach ich home-office. ich hab mein wochenende hab ja nun geopfert für 2 echte arbeitstage: die „lange nacht der beusselstraße 47“. und es gibt wirklich nix anstrengenderes als eigene ausstellungen zu beaufsichtigen.

nee, mal im ernst: nächstes jahr mach ich das auf jeden fall wieder. wieder während der artweek, so wie alle anderen offenen ateliers ja auch, die was vom artweek-kuchen abhaben wollen. nächstes jahr dann auch mit eigenem limosinen-shuttleservice. kuchen und würstchen-catering hatten wir ja schon.
ich hab auch gehört, die berliner galerien hätten das mit den free drinks wieder etwas runtergefahren. wenn sich das mit dem kuchen und den würstchen im „wohlfühlatelier kelm“ also rumspricht, vielleicht kommen die dann ja nächstes jahr alle zu mir.

Credit: Thomas Wiegold/wiegold.de

nee aber mal im ernst: der hauptgrund, das offene atelier während der artweek zu machen, ist natürlich der, dass ich dann selber nicht da hingehen kann. ich muss also kein schlechtes gewissen haben, wenn ich wieder nicht zur artweek geh – ich hatte ja zu tun.

die werbung auf facebook hat übrigens auch was gebracht. jeder zweite der reinkam meinte, er käme wegen des kuchens.

aber auch sonst war mein offenes-atelier sehr erfolgreich. die 5-fache ausführung meiner 10-seitigen preisliste wurde zum beispiel von vielen ausdrücklich gelobt.

Credit: Thomas Wiegold/wiegold.de

nee, aber jetzt wirklich mal im ernst: an beiden tagen zusammen waren es genau 35 gäste, auf 39 quadratmetern (klofläche mit eingerechnet) also volles haus. und gestern, am sonntag, um punkt 18 uhr, hab ich die tür zugeknallt und alle die nicht gekommen sind sofort bei facebook entfreundet.

ich hatte auch ein paar VIPs zu gast. franca zum beispiel, die extra aus hamburg angefahren kam, außerdem 3 verwandte, die ganz aus berlin-wannsee anreisten und die ich deswegen auch nur alle 10 jahre treff. total umgehauen hat mich aber das auftauchen eines alten schulkameraden, den ich vor 30 jahren das letzte mal gesehen hab und der einen kurzen hauch von erinnerung in mir wach rief, an die gruselige kleinstadt in der wir aufwuchsen, meine schreckliche jugend und schulzeit und dass dies alles vielleicht doch garnicht so scheisse war.
und natürlich henrieke, die mit mir unter anderen die 2 kisten bier in den 3. stock hochgewuchtet hatte, leider komplett umsonst (kein einziges bier wurde angerührt).

und damit komme ich zum schluss noch kurz zum überhaupt besten bei solchen veranstaltungen: felix, mein mann, und ich brauchen den rest des jahres keinen alkohol mehr kaufen – wir haben jetzt alles da!

Franca freut sich. Foto von Felix Schwenzel

ausstellungstipp

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ich mach bei einer gruppenausstellung mit in der kunsthalle schlieren bei zürich. also wer da in nächster zeit hinfährt oder eh da ist, dem möcht ich dies hier wärmstens empfehlen:

– AMERIKA – 30.09.17 – 22.10.17

Eröffnung: Samstag 30.09.2017, 16Uhr

Öffnungszeiten jeweils an den Wochenenden Samstag/Sonntag ab 14 Uhr/u. nach Vereinbarung

Kunsthalle Schlieren
Gaswerkstrasse 15, 8952 Schlieren/Zürich

Ist der American Dream der sublimierte Wunsch nach geliebt werden im promised Land?
Die Ausstellung AMERIKA untersucht die Psyche eines Kontinents, die sich zwischen der bipolaren Störung aus Political Correctness und gnadenlosen Populismus manifestiert. Die Pluralität der künstlerischen Positionen und deren Gegenüberstellung lassen einen sehr komplexen psychologischen Zustand erahnen….
Die Künstlerliste besteht aus bereits arrivierten/ historischen Positionen als Bezugspunkte und noch zu entdeckenden Künstlern als deren Weiterführung in neuen Zusammenhängen. Beteiligt sind Reisende, native Americans, Auslands Amerikaner, amerikanische Ausländer und Amerikaner.

Ihre Kunsthalle Schlieren

Künstler der Ausstellung:
John Baldessari, Jake Basker/ Linn Schröder, Michael Belmore, Anja Brogan, Diego Fernandez, Mike Kelley, Katia Kelm, Zoe Leonard, Tobias Madörin, Henrieke Ribbe, Hans Saylors, Jesse Wiedel, Egon Zippel

mein kleiner beitrag zu #metoo

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langsam scheint das interesse an #metoo, zumindest in meiner facebook-timeline, abzuflauen. ein paar frauen haben schüchtern ein kommentarloses #metoo abgesetzt, ich hab das auch gemacht, und viele männer und wenige frauen haben sich darüber aufgeregt.

ich wollte dazu eigentlich auch garnichts mehr schreiben, das haben schon genug andere gemacht. ausserdem glaube ich langsam auch nicht mehr daran, dass man bei denen, die fragen, ob wir frauen etwa keine blumen mehr geschenkt bekommen wollen, mit argumenten irgendwas ausrichten kann. oder bei denen sich um die genies sorgen (die ja immer schon komplizierte persönlichkeiten waren) oder die autonomie der kunst.

aber ich rege mich halt weiterhin darüber auf. sehr. ich fühle mich von den relativierern persönlich beleidigt und es schockiert mich, wie viele meiner facebook-kontakte sich abfällig über die #metoo bewegung geäussert haben.

ich bin (wie die meisten meiner weiblichen bekannten) mein ganzes leben immer und überall mit pimmel-hinhaltern konfrontiert gewesen und es macht mich fassungslos, dass garnicht wenige leute aus meinem persönlichen bekanntenkreis sich lieber über „hysterischen“ metoo-frauen aufregen als über ihre pimmelschwenkenden geschlechtsgenossen.

in meinem blog hatte ich schonmal irgendwann eine kleine liste gepostet von meinen persönlichen top ten zum thema „sexismus am arbeitsplatz“.
top 10 heisst aber ja nicht, dass das alles war. eigentlich was es nur das, was mir damals spontan einfiel. und es bezog sich auch ausdrücklich nur auf meine beruflichen erlebnisse.

deswegen will ich das hier jetzt nochmal etwas ausführlicher behandeln. und mal erklären, was ich damit meine, wenn ich sage, dass ich mein ganzes leben lang unwillentlich mit pimmel-haltern konfrontiert gewesen bin.

ich fang mal in meiner teenagerzeit an. ich war 15 oder 16 als mir der vater meiner besten freundin eröffnete, er habe einen job für mich. er wisse ja, dass seine tochter und ich immer auf der suche nach jobs wären, babysitten, nachhilfe und sowas. er habe etwas besseres. er müsse die tage dienstlich mit dem auto nach hamburg reinfahren (die fahrt dauerte ca. 45 minuten) da könnte ich ihn begleiten. er würde es mir dann unterwegs erklären.

es dauerte tatsächlich die ganzen 45 minuten bis er zum punkt kam. für geschäftsfreunde suche er eine „weibliche begleitung“. und wenn ich interesse hätte würde er mich vorher „testen“. wir könnten das gleich hier in hamburg machen, im hotel.
ich lehnte höflich dankend ab, tat, als wäre es das normalste von der welt und eigentlich ein super angebot.
später erfuhr ich, dass er dasselbe auch bei einer anderen freundin seiner tochter versucht hatte, und jahre später, dass er innerhalb der familie „handlungen“ ausgeführt hatte.

zu ungefär derselben zeit hat mich auch mein kunstlehrer, den ich sehr verehrte, in der schule angebaggert. er war mitte 30, also 20 jahre älter als ich.
er bat mich, nach der stunde länger zu bleiben, kam dann auf mich zu und meinte: das hier – dabei streichelte er meine hüfte – mache ihm sehr zu schaffen.
weil ich signalisierte, dass ich kein interesse hatte, gab er mir von dann an schlechte noten und behandelte mich herablassend. das war sehr schlimm für mich, weil kunst mein lieblingsfach war.
zum nächsten schuljahr hab ich dann die schule gewechselt.

nur kurze zeit bevor dieser lehrer es bei mir versucht hatte hat er auch eine andere mitschülerin angebaggert und bei einer dritten hatte er dann auch erfolg, die ist sogar noch vor dem abi bei ihm eingezogen.

er praktizierte seine vorliebe für minderjährige ganz offen. er machte sich nicht die mühe, es zu verheimlichen, wozu auch, es wurde ja in keinster weise geahndet.

nach seinem dem tod vor ein paar jahren stand noch ein langer ehrender artikel über den tollen pädagogen und künstler in der stadtzeitung.

die geringschätzung von frauen bzw. mädchen wurde aber auch von anderen lehrern an dieser schule ganz offen praktiziert. es gab lehrer, die mädchen prinzipiell schlechter benoteten oder sich sogar weigerten, sie zu unterrichten. ich hatte einen sportlehrer der mädchen auf der bank sitzen liess während er mit den jungs unterricht machte. derselbe lehrer unterrichtete auch deutsch. einmal gab er mir mal ein referat zurück mit der frage: „auf dem eigenen mist gewachsen?“ als ich bejahte entgegnete er: „erzähl mir doch nichts, mädchen.“

mit noch nicht ganz 18 zog ich nach hamburg. als schülerin und später studentin war ich täglich mit öffentlichen verkehrsmitteln unterwegs und das angebaggert-werden nahm kein ende. einmal hat mich ein mann im bus dermassen bedrängt dass ich angst hatte, auszusteigen und alleine nach hause zu gehen. ich bin dann in eine videothek gegangen und hab dort eine stunde gewartet bis ich annahm, dass der mann von der strasse verschwunden war.

einmal hat sich einer einen runter geholt als ich mich bei ihm im hotel für einen job bewerben wollte. ein anderer als ich beim trampen neben ihm im auto saß – während der fahrt. hinterher hat er mich nach nem taschentuch gefragt.

an der hochschule gab es auch noch eine anekdote, die ich bei meinen oben erwähnten top-ten vergessen hatte:

ein von mir sehr verehrter professor bot mir auf einer feier das „du“ an. um das zu besiegeln, meinte er, müsse man sich aber auch küssen.
da ich einen verbrüderungskuss nicht als einen sexualler art einstufte willigte ich ein und mein prof steckte mir dann ungefragt seine zunge in den mund. ich war 29, er über 60.

der professor hatte viele fans unter den kommilitonInnen, so auch eine andere studentin die ebenfalls als gast auf der feier war. später erzählte sie mir, dass er sie an dem abend gefragt habe, mit wievielen männern sie schon geschlafen habe und wie denn ihr erstes mal gewesen sei.
die geschichte geht auch noch weiter aber ich finde, bis hier hin reicht es.

dann fällt mir eine geschichte ein wie ich mal mit freundin und unseren kindern an einem badesee war. unsere kinder waren noch klein, vielleicht so 3, 4 jahre alt. wir sassen auf einer picknickdecke und ein nackter mann stolzierte an uns vorbei, keine 2 meter entfernt, mit bis zur brust hochgeklappten penis.
als er im gehölz verschwand dachten wir, die luft wäre rein, er käme nicht wieder, aber wir irrten. er kam noch mehrmals wieder, so lange bis wir zusammenpackten.
wer also meint, dass diese „zeiger“ wenigstens vor kindern halt machen, irrt.

apropos. einmal sass ich nachmittags auf dem kinderspielplatz bei uns zuhause ums eck. mein etwa 4-jähriger sohn musste mal und ich empfahl ins gebüsch zu gehen. ich sass keine 10 meter weit entfernt auf der bank. nach dem pischern kam er auf mich zu, irritiert, da habe ein mann hinterm zaun gestanden, der habe gefragt, ob er mal anfassen dürfe. (was mein sohn natürlich abgelehnt hat.)

jetzt wo ich das schreibe höre ich innerlich schon die relativierer: „er hat doch nur gefragt!“

und es gibt noch mein jahr in der werbung. damals dachte ich, aufhören zu müssen kunst zu machen, weil ich nichts verdiente, und ich arbeitete ein knappes jahr in einer online-agentur, vollzeit. das war die schlimmste zeit meines lebens. damals wurde mir klar, dass ich es in der kunstwelt doch ganz gut hatte, auch ohne geld.
mein job war im bereich projektmanagement, das heisst im groben, ich musste sachen mit kunden abstimmen und den grafikern und programmierern aufträge erteilen.

mein vorgesetzter nannte mich „mäuschen“. ich sagte ihm, dass ich das scheisse fände, dann nannte er mich schätzchen.
ein programmierer sagte mir ganz offen, vor versammelter mannschaft, er liesse sich von mir als frau nichts sagen. ich solle meinen (männlichen) team-leiter schicken. das tat ich. der teamleiter schüttelte genervt mit dem kopf und ging zum programmierer. keine weitere diskussion.

dann gab es den leiter der programmierung. der starrte mir in gesprächen permanent auf den busen und es ist schon wirklich anstrengend, wenn jemand die ganze zeit etwas fixiert was ungefär 40 cm tiefer liegt als meine augen.
in meetings starrte er unter dem tisch meine beine an und machte das auch ganz offen und demonstrativ. und darum ging es auch nur: nicht etwa um geilheit sondern um die demonstration von macht. „ich bin hier der leiter und du bist arsch und titten.“

die stimmung in dieser agentur war jedenfalls die hölle. ein immerwährendes „muschi, lass dir das mal von nem profi sagen!“ wenn man sowas 9 stunden am tag ertragen muss ist das viel schlimmer, als vom einem peinlichen alten prof in die brust gezwickt zu werden. ich hab damals nachts kaum noch geschlafen und war die letzten 2 monate bevor meine kündigung wirksam wurde aufgrund von psychosomatischen beschwerden krank geschrieben.

ich bin jetzt 47, leicht übergewichtig und trage im alltag mit vorliebe beutelige klamotten. ich schminke mich nur noch selten und hohe schuhe finde ich von jeher bescheuert und kürzlich habe ich mir eine skijacke in der herren-abteilung gekauft – soviel zur optik.
in diesem aufzug bin ich vor ein paar wochen mit meinem mann in der u-bahn gefahren. uns gegenüber sass ein anderer mann. sobald wir uns gesetzt hatten fing dieser an mich anzustarren. dieses klassische starren mit geilem blick. hat nicht viel gefehlt und er hätte sich im schritt massiert. meinem mann ist das auch aufgefallen aber er kann mit sowas genauso wenig umgehen wie ich. also sind wir halt wieder aufgestanden und mussten auch irgendwann aussteigen.

ich will damit nur sagen: kranken arschlöchern ist es egal, wie frauen sich kleiden, ob sie jung sind oder alt, ob sie in begleitung von ehemännern oder kindern sind – es trifft einfach die nächstbeste, die sich zufällig auf den freien platz gesetzt hat.

so, jetzt nochmal kurz zu der scheisse, die man sich anhören muss, wenn man diese ganzen oben erwähnten sachen auf irgendeine weise öffentlich thematisiert.

ein standard-vorwurf ist zb. das ich mich selbst „zum opfer machen“ würde. oft sind es andere frauen, von denen man sowas hört. „mir ist sowas noch nie passiert“ hört man auch häufig.

meine standard-antwort dazu lautet: nein. ich MACHE mich nicht zum opfer. es sind andere, die VERSUCHEN, mich zum opfer zu machen, aber ich wehre mich. ich schreibe zum beispiel gerade einen text dagegen.

opfer wäre ich, wenn ich machen würde, was die schwanzwedler erreichen wollen: uns frauen weghaben. ich bin aber noch da und bleibe auch.

jetzt meine antwort auf „also ich hab sowas noch nie erlebt“:
wenn man das haus nicht verlässt mag das zutreffen.

frauen allerdings, die aktiv an dieser gesellschaft teilnehmen, die sich beruflich vielleicht sogar einen platz in den vorderen reihen erkämpfen wollen, frauen die kinder großziehen und daher auch nicht vermeiden können, auf die straße zu gehen – diese frauen erleben sowas. und manchmal erleben sowas sogar auch männer (von kindern ganz zu schweigen).

das weiss ich deshalb, weil ich dabei war. weil ich es gesehen hab, so wie es jede/r sehen kann. und weil es mir erzählt wird, so wie es jede/r erzählt bekommen hat der mit anderen menschen redet.

und was mir erzählt wurde handelt nicht nur vom glotzen und grapschen. ich kenne sogar mehrere frauen persönlich, die nicht nur misogyne männliche verwandte ersten oder zweiten grades hatten (wie ich) sondern welche, die für ihre handlungen definitv in den knast gehören – wo sie leider nicht sind.

mag sein, dass es sich manche irgendwie so hindrehen können, tittenglotzende vorgesetzte als kompliment zu verstehen, aber wenn ICH es nunmal anders empfinde, warum kann jemand, sollte er sich tatsächlich in der behaupteten priviligierten situation befinden, soetwas „nicht erlebt“ zu haben, warum kann sojemand nicht einfach mal die fresse halten? warum muss man es unbedingt wegreden wenn leute versuchen, einen missstand zu beheben indem sie darüber sprechen?

warum müsst ihr euch über das „berufsverbot“ von kevin spacey aufregen, oder darüber, dass der regisseur beschlossen hat, ihn aus seinem film zu schneiden, statt euch über das verhalten aufzuregen, was dazu geführt hat?

und jetzt nochmal was zum namen-nennen: ich habe auch noch nie namen genannt. aus dem selben grund warum die meisten anderen das auch nicht machen: ich traue mich nicht. ich habe angst vor dem „backlash“ und einer verschlimmerung. genauso wie ich nie zur polizei gegangen bin. weil ich die erfahrung gemacht habe, dass es in den seltensten fällen etwas verbessert hat.

dass namen zu nennen selbstjustiz sei wird oft gesagt. auch „opfer“ hätten sich an die regeln zu halten und weil sie das nicht gemacht haben wurden halt jetzt karrieren zerstört.
dass diese tüpen ihre karrieren durch ihr verhalten selbst gefährdet und letztlich ruiniert haben wird beharrlich ignoriert.

und wenn es tatsächlich „rufmord“ wäre: was spricht dagegen, dass die betroffenen selber den rechtsweg gehen? gute anwälte scheinen sie doch zu haben, die haben sie ja auch vorher jahrelang dafür gesorgt, dass nichts öffentlich gemacht wurde.

(dieser artikel hat keinen schlussatz. ich habe ihn nochmal um ungefähr die hälfte gekürzt. in der originalversion standen am ende ein paar fäkalwörter, die bitte einfach dazu denken.)


guten rutsch

8 neue arbeiten

linktipp

meine katzen, küsse, köche, kühlschränke,

nachtrag

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